Ich schreibe Texte

Ich schreibe Texte auf ein Blatt Papier, und wenn ich die Seite vollgeschrieben habe, drehe ich das Blatt um neunzig Grad und schreibe weiter an dem Text. Und habe ich dasselbe Blatt Papier ein zweites Mal voll geschrieben, passiert das auch noch ein drittes und ein viertes Mal, ... oft auch acht, selten aber zwölf und sechzehn Mal, und ich bin sehr konzentriert und sehr ruhig bei dieser Tätigkeit. Ich lese den Text, den ich schreibe laut, tauche dann den Pinsel oder die Feder in das Glas mit Tusche und schreibe den Satz, oder vielmehr die Teile der Sätze, die ich gelesen und mir gemerkt habe, auf das vor mir liegende Blatt. Richtet sich meine Aufmerksamkeit anfangs noch auf Buchstaben und Wörter, so verschwinden diese bald zu endlosen Linien, die ich nicht mehr zu verfolgen, nicht mehr zu entziffern vermag, nicht nur dadurch, dass ich Schicht um Schicht übereinander lege.

Die Geschwindigkeit des Lesens verändert sich durch den Akt des Abschreibens absolut. Die Langsamkeit erlaubt mir, mit ungeahnter Intensität in den Inhalt des Textes einzusteigen. Meine Gedanken weichen ab und finden sich in der Vergangenheit wieder, assoziieren aus dem gerade Gelesenen. Wahrheiten entfernen und verändern sich. Vergangene und gegenwärtige Wirklichkeiten verschmelzen. Eine Identifikation mit handelnden Personen oder dem Autor ist durchaus gegeben.   

Textsequenzen legen sich übereinander, vernetzen und verdichten sich bis hin zur Unlesbarkeit und weiter. Der Sinn des Schreibens verliert sich langsam – fast unmerklich für mich als Schreiber – in der Verwandlung vom Text zum Bild. Es spielt scheinbar keine Rolle mehr, welchen Text ich erst gelesen, und dann bis zur Unlesbarkeit wiedergegeben habe – scheinbar.
Ich spüre die endliche Stille und mein Alleinsein, ...
mein Alleinsein mit den Gedanken,
die mich überfluten wie ein Meer.

 

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