K o m m e n t a r e

 

In Bildern lesen

Michael Birkls Bilder entstehen aus der Abstraktion literarischer Texte, die durch die freie kalligraphische Umsetzung eine rein bildhafte Darstellung erfahren.
Die Texte selbst nehmen Gestalt an, erscheinen, auf verschiedenen Ebenen angeordnet und ineinander verwoben, als vielfältige, räumliche Strukturen und Gebilde.
Ähnlich wie beim Lesen eines Textes erschließen sich jedem beim Betrachten der formenreichen Details eigene Bilderwelten.

Alexander Augustin

 

Die Wahrheit des Buchbindermeisters

„Herr Burgans Sohn Jirka malt gern Bilder. Vater Burgan erzählt von eigenartigen Umständen ihrer Entstehung: "Als er diesen Sonnenuntergang über böhmischem Teich malen wollte, zog er Schuhe an, die eine Nummer zu klein waren, ... auch Auf dem Berggipfel ist unter schwierigen Umständen geschaffen worden, nämlich nach drei Fasttagen‘ ... Herr Burgan zeigte auf das letzte der Bilder. ... "dieses Gemälde heißt Winterstimmung. Unser Junge stand damals barfuß, die Hosen hochgekrempelt, eine Stunde lang in einem Bach, im Januar wars, da stand er im Eiswasser vor seinem Motiv‘ ...“ Herr Burgan ist ein „Bafler“. So nennt der tschechische Autor Bohumil Hrabal Menschen „gegen die unaufhörlich ein Ozean zudringlicher Gedanken anbrandet. Ihr Monolog strömt ununterbrochen ... Sie geben Informationen über Begebenheiten, deren Bedeutung vergrößert, verschoben, verkehrt wird. Sie sehen die Wirklichkeit durch das diamantene Auge der Einbildungskraft.“

Wir erfahren diese Charakterisierung der „Bafler“ vom Übersetzer Hrabals, Franz Peter Künzel, in einer Nachbemerkung zu einer Sammlung von Erzählungen, die in einem grünen Bändchen der edition suhrkamp versammelt, und 1966, zwei Jahre nach der tschechischen Ausgabe, unter dem deutschen Titel „Die Bafler“ erschienen sind. Kauzige Gestalten: Herr Burgan selbst, der mit einer im Kopf steckenden Sichel herumläuft oder „Der Herr Notar“, ein alter Mann, der sich ständig neue Grabsprüche für sein eigenes Grab ausdenkt. Auf tschechisch heißt der Titel „pábitelé“; pábiti bedeutet, sich mit etwas Kauzigem, Ausgefallenem beschäftigen und in leidenschaftlich-entdeckerischer Weise die Dinge behandeln. Auf das deutsche Bafel als Übersetzung für pábitelé ist Künzel über einen Umweg bei Eduard Mörike gestoßen. Das Wort „Bafel“, das laut „Kluges etymologischem Wörterbuch“ u.a. so viel wie „dummes, nutzloses Gerede“ heißt, hat eine lange Geschichte, es soll aus dem talmudischen „babel“ stammen.

Dass ich bei Michael Birkl an Hrabals Bafler dachte, war nahe liegend. Ich wusste von ihm, dass er Hrabal mochte. Die Bafler sind zentrale Figuren in Hrabals Texten, sie stehen beispielhaft für dessen exzellent-absurde Erzählungen, die es dem Autor ermöglichten, in den 60er Jahren dem Realitätsgebot des Sozialistischen Realismus zu entkommen, die Freiheit des Narren, und damit ein Stück Wahrheit abseits dieses Realitätsgebots zu entdecken. Pabitele wurde dank Hrabal schnell zu einem geflügelten Wort in der CSSR, obwohl es in keinem Wörterbuch zu finden war: eine passende Paradoxie. 

Wir haben es bei Birkls Arbeiten oft mit Hrabal zu tun, ob auch mit Baflern und den Bildern von Jirka Burgan, weiß ich nicht. Ich werde es aus eigener Anschauung nicht erfahren. Birkl mochte, mag Hrabals Texte so sehr, dass er begann sie abzuschreiben. Und sie weiterhin abschreibt. Zunächst schrieb er die Texte, Textauszüge, in einem Heft, dann recht bald auf einem Blatt Papier, in jüngster Zeit auch auf Leinwand, in großformatigen Arbeiten. Michael Birkl sagt: Abschreiben hat etwas Meditatives. Er schreibt die ihm so lieben, so wertvollen Texte - früher von Thomas Bernhard, zunehmend mehr und am liebsten von Hrabal – er schreibt sie so lange ab – wir könnten auch sagen, er malt sie so lange ab, wie es ihm gefällt. Es gibt keine vorgegebene zeitliche Grenze für diesen Vorgang. Es gibt aber zunächst eine räumliche Begrenzung: Die eine Seite, die Vorder- oder Oberseite des Blattes. Diese Grenze des Blattes sprengt Birkl auf ihm eigene Weise: indem er über die voll beschriebene Seite drüber schreibt, nicht über den Rand, sondern auf das zuerst Geschriebene drauf, weiter schreibt, nachdem er das Blatt um 90 Grad gedreht hat. Statt nach links und rechts, nach oben und unten, weicht er in die Höhe aus: Schicht um Schicht wird aufgetragen, ob zwei, vier, acht oder sechzehn, und es gibt kein Zurück mehr, kein archäologisches Abtragen.

Ein paradoxer Effekt dieser Meditation, dieses Schreibprozesses aus Leidenschaft zu ganz bestimmten Texten stellt sich ein: die Texte werden unleserlich. Je länger die Auseinandersetzung, die Beschäftigung dauert, um so unleserlicher werden sie. Dabei bleibt Birkl bei der ihm eigenen Kalligraphie: Aber er schreibt schön bis zur Unkenntlichkeit. An das Babel der Genesis zu denken, das den Wortstamm von „Bafel“ bildet, drängt sich auf. Es ist ein Überzeichnen des Schreibprozesses, buchstäblich. Die Schrift-Zeichen werden auf ihre Materialität reduziert, sie verlieren ihre Bedeutung, der Textcharakter der Texte, dieser vom Schreib-Maler, so geliebten Texte, wird immer mehr verborgen, derart, dass er sich letztlich auflöst und sich die Qualität verändert: die Texte mutieren zu Bildern, zu Bildern, die aus Texten bestehen.

Der Rahmen dieser Bilder ist der Blattrand: dieser wird nämlich nicht überwunden. Im Gegenteil: da das Blatt, die Seite voll geschrieben wird, da keine Leerstelle frei bleibt, wird er sogar als Rand, als rechteckiger Bild-Rahmen, markiert. So sehr Birkl einerseits durch das Schreiben in Schichten der Begrenzung des Blattes, die der Blattrand vorgibt, entgeht, bewegt er sich doch innerhalb des Blattes. Er weicht der Begrenzung aus und hält sich doch daran: der fortlaufende Schreibprozess endet nicht irgendwann, nicht irgendwo in der Mitte des Blattes, sondern an dessen Ende, am unteren Rand. Auch dadurch, durch diese Rahmung, wird der Bild-Charakter der Arbeiten unterstrichen. Die Erweiterung – das Ausloten neuer Wege – ein Ausbruch? – wird auf andere Weise vollzogen: durch den spärlichen Einsatz von Farben, etwa Siena, neben dem dominanten Schwarzweiß, die Produktion von Großformaten auf Leinwand, bis hin zum Triptychon, und durch eine zunehmende Reduktion der Schrift-Zeichen, die kaum mehr als Schrift-Zeichen zu erkennen sind.

Bohumil Hrabal hat 1967 ein kleines Buch herausgeben, indem er seine Lieblingstexte versammelt hat. „Hrabals Lesebuch“ heißt es auf deutsch. Nahe liegender weise ist auch eine kurze Erzählung von Kafka darunter. Die hier aber nicht näher interessieren soll. Passender für diesen Anlass scheint mir ein kurzer Text, der sich einleitend findet, noch vor der Einleitung, die Hrabal selbst geschrieben hat. Der Text ist gerade eine halbe Seite lang, stammt von Jakub Deml, und handelt von der Wahrheit. Oder besser: von den Wahrheiten.
„Es gibt eine Wahrheit des Tages und eine Wahrheit der Nacht“, beginnt er, „eine Wahrheit der Kranken und eine Wahrheit der Gesunden, eine Wahrheit der Kinder und eine Wahrheit der Erwachsenen ...“ Und irgendwo in der Mitte heißt es: „... und eine Wahrheit des Kutschers und eine Wahrheit der Näherin und eine Wahrheit des künstlerisch arbeitenden Buchbindermeisters ...“

Benedikt Sauer

 

... zu deinen Bildern ...

als eine , die immer so gleich versucht ist zu bedeuten ...
bin ich vor deinen Bildern behütet .
behüten sich , deine Bilder .
verwehren sie mir : sie zu lesen und zu entziffern .
und wenn du mir Namen geflüstert hast und Titel und Inhalte ...
haben sie selbst sich , sofort und ohne ein Zögern , zu verjagen gewusst ...

zuerst einmal : trete ich immer zurück .
es tut mir wohl , dieses Zurücktreten .
und das etwas Kühle , und das so sehr Schöne , das es mir gestattet .
und zuerst einmal erleichtert es mich , jedes Mal ,
dass ich über deine Botschaften eben nicht nachdenken werde ,
dass mich nicht beschäftigen muss , womit du dich da beschäftigt hast .
du erlaubst mir : Distanz .
und , eine Mühelosigkeit , die mir gut tut .

so .
und dann ... natürlich lese ich ! und denk mir was ! und schau ...
da ist : Struktur , an sich , ist sie da .
da sind Gerades und Gebogenes , ein Drunter und Drüber . Zwischendurchs .
ein Sichberühren und Aneinandervorbei .
Sich Umarmendes , Verschlingendes . mit sich Ringendes .
da ist Verspieltes , und Heiligernstes .
Unbeirrbares , Sperriges . Fragiles , Geheimnis .
da ist Zartes , Zärtliches .
Leichtes und Leichtfertiges , schnell und unzensuriert , routiniert und
hingeworfen ...
einfach so .
Hinterher , und Immerweiter ... da ist das Zuviel .
gewachsen .
Lücken und Innehalten .
da sind Ebenen und Tiefen , Räumlichkeiten .
und , jenseits davon ...
da ist viel : Raum .
das alles hat Platz , das alles ist wert ... nichts davon ist mehr wert .
Seinlassen .

nach so viel "Zurücktreten"
da komm ich , so gern , jedesmal wieder , näher ,
um zu horchen ,
um nichts davon zu überhören , weil ...
alles das ist hörbar .
ist Ton und Geräusch , Geflüster , Getöse , Musik .
sind Bilder : Partituren .
die sich selber spielen , mühelos .

Maria Stern

 

im vorderen raum liegt eine leinwand auf schragen
das gewebe ist grob, gröber als sonst
sie füllt fast den ganzen raum
gerade noch platz um rundherum zu gehen
die erste grundierung wird aufgetragen
weiß
mit dem breiten pinsel aus barcelona
die farbe ist trotz der verdünnung dickflüssig

ich hätte doch noch mehr leinwände aufspannen sollen
sie braucht so lange zum trocknen

das grundieren dauert seine zeit
danach kann ein tag lang nicht daran gearbeitet werden
zuerst ist die leinwand eher lasch
wenn die grundierung trocken ist dann stimmt auch die spannung

bei jedem bild entstehen im kopf zehn weitere
ich brauche mehr platz
die bilder wirken anders wenn sie an der wand hängen


bohumil hrabal’s Allzu laute Einsamkeit
hat schon etliche blätter gefüllt
auch leinwände tragen schon seine texte
geschichten eines altpapiereinstampfers

bücher
zu ballen gepresst
kunstwerke
jedes bringt wieder ein neues mit sich
im kern eines jeden schlummert ein meisterwerk

die erste schicht mit dem breiten japanpinsel
tusche, nicht zu dünn
transparent über transparent
tiefenwirkung
vier schichten oder acht oder zehn
jede bringt ihre eigene textur mit
jede verändert das ganze zur gänze
manchmal zeichnet die feder schicht für schicht aufs papier
dann wieder ein schmaler pinsel
schreiben als meditativer akt
die möglichkeiten, lange nicht ausgeschöpft

victorine heidi eberhardt

 

  | Home | GalerieBiografie | Ausstellung | Kommentare | Presse | Kontakt
 
© Michael Birkl
A-6020 Innsbruck • Franz-Fischer-Str. 40 • michael.birkl@utanet.at • www.birkl.at